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29. April 2016

Willi Siber

"ganz schön präzise"

 

Einführunsrede von Dr. Uwe Degreif

Sehr geehrte Eröffnungsgäste,

 wir haben dieser Ausstellung den Titel "ganz schön präzise" gegeben. Das ist ein wenig irreführend, denn Präzision ist keine primäre Qualität moderner Kunst. Es betont allzu sehr das Handwerkliche, dabei wurde vielfach das, was manchen als schlampig oder dilettantisch erschien, im Nachhinein als wichtige Neuerung gefeiert. In der modernen Kunst gibt es keine für alle Kunstrichtungen verbindlichen Maßstäbe, niemand weiß was 100% sind.

 Bildnerisches Arbeiten muss man sich als ein Annähern vorstellen, als einen Prozess, bei dem die Künstler selten wissen, ob das, was sie gerade tun, die beste Lösung ergibt oder nicht. Das mag viele von uns irritieren, aber Künstler erleben ihr Tun als ein fortwährendes Suchen; das gestern beendete Werk erscheint ihnen ebenso als Lösung wie das heute frisch begonnene. Im Moment des Machens teilt sich ihnen das Ziel mal klar mit, mal ahnen sie es nur, mal erleben sie die Situation als völlig offen. Erst mit Abstand können sie erkennen welche Lösung präzise war und welche nicht.

 Natürlichhat Präzision einen handwerklichen Aspekt. Er betrifft die Herstellung und die fachgerechte Ausführung. Dieser Aspekt sticht einem bei den hier präsentierten Arbeiten sofort ins Auge. Aber was meint fachgerecht? Die Maschinen, die hier im Haus gebaut werden, die müssen noch nach Jahren funktionsfähig sein, alle baugleichen Maschinen müssen in exakt derselben Weise schärfen. Fatal wäre es, wenn die eine mehr und die andere etwas weniger schärfte, das gäbe Reklamationen. In der Bildenden Kunst ist es anders. Dort gäbe es Reklamationen bei baugleichen Lösungen; man würde von Wiederholung sprechen. Man würde kritisch anmerken, dass ein Künstler sich kopiere, weil ihm nichts mehr einfalle. Von Kunst fordert man die Variation, erlaubt ist die Ähnlichkeit, aber nicht die Gleichheit. Wäre das, was als präzise gilt, eine eindeutige Vorgabe, dann bräuchte es im Grunde genommen nur ein einziges Werk - das Meisterwerk. Und danach? Nichts mehr, weil das Ziel ja zu 100% erreicht wurde.

 Willi Siber kennt diesen Prozess des Annäherns seit mehr als 40 Jahren. Er ist ein Meister im Verbinden und Kombinieren. Ich staune immer wieder darüber wie viele Facetten er einer Idee abgewinnen kann. Er geht dafür nicht logisch vor, sondern spielerisch, sinnlich und experimentell. Zwar muss er konstruktive und materialbedingte Notwendigkeiten beachten, aber man spürt bei all seinen Werken die Lust am Variieren.

 Drei Werkstoffe bestimmen diese Ausstellung: Stahl, Kunststoff und Holz. Vor einer seiner Stahlskulpturen stehe ich gerade. Sie entstehen aus Cortenstahl. Es ist derselbe Stahl und es sind dieselben dicken Strängen, aus denen die Firma Liebherr ihre Kranen baut. Der runde Strang wird für diese Skulpturen nicht geknickt, wie es den Anschein hat, die Formen ergeben sich durch Ansetzen und Schweißen. Mit einem Gewicht von 14-Tonnen schneidet eine Maschine der Firma Neudeck Stücke in unterschiedlicher Länge vom Strang ab, sie quetscht den Stahl regelrecht bevor sie die Teile abtrennt. Siber bestimmt ihre Länge, die Maschine quetscht und kürzt. In seiner Werkhalle greift sich der Künstler dann aus einem Berg von Teilen ein einzelnes Stück heraus, stellt es auf die Werkbank und fügt das Ende eines anderen Stückes dran. Er schweißt es seitlich fest, langt er nach dem nächsten Stück, dreht und wendet es, setzt an und der nächste Schweißvorgang beginnt; das setzt sich so fort. Stück um Stück baut sich eine Skulptur auf, wächst zu den Seiten oder in die Höhe. Gelegentlich wird ein Teil wieder entfernt und ein anderes angesetzt. Ist der Stand auf dem Boden gesichert, ist der Künstler mit den Ansichten aus unterschiedlichen Blickrichtungen zufrieden, dann werden die Nähte an den Kontaktstellen durchgeschweißt. In einem nächsten Arbeitsgang werden die Unebenheiten bei den Schweißnähten und an den Stahlsträngen entfernt, die Übergänge werden spritzgespachtelt und abschließend die Farbe in mindestens fünf Schichten aufgesprüht. Zum Schluss folgt der Lack. Diese Skulpturen sehen aus als ob als ob sie aus einem biegsamen Material bestünden, so wie man einen Strohhalm knickt oder einen Motorradschlauch faltet. Im Ergebnis wiegen sie locker 60 bis 100 Kilogramm, manche mehr.

 Für den Verlauf der Knicke gibt es keine Vorzeichnung und keinen Plan, es gibt nur das innere Bild des Künstlers, den Augenblick des Findens der Teile und die Erfahrung bereits vollendeter Werke. Konzentration und Intuition bestimmen den gestalterischen Prozess. Sibers Skulpturen entstehen aus Modulen, sie ähneln sich, aber keine ist baugleich.

 Schaut man sie sich an, dann dominiert im einen Moment die Farbe, im anderen Moment die gefaltete Form. Noch stärker ist dieses Springen und Kippen der Wahrnehmung bei den Schalen: Im einem Moment blendet einen der Reiz der Farben, im anderen erkennt man das Halbrunde der Gefäße.

 Bei den großen Holzstelen unten im Eingangsbereich ist es eindeutig: man nimmt zuerst die großen Volumen wahr, danach die vielen Holzzapfen auf ihnen. Diese raumgreifenden Körper sind übersäht mit Pusteln aus langfasrigem Holz. Ihre Volumen haben keine Entsprechung in unserem Alltag, scheinen wie aus einer anderen Epoche. Manche sind mit einen Anstrich aus pudrigem Kalk und durchscheinender Emulsion überzogen, aber das Holz bleibt als Material spürbar. Diese Körper ruhen, sie liegen oder stehen, neigen sich allenfalls minimal, sind uns ein stummes Gegenüber. Nähert man sich ihnen, so kommen sie einem vor wie eine Art "Raumfühler", die lauschen und speichern was an Geräuschen und Bewegungen da sind.

 Für die Skulpturen von Willi Siber sind aus meiner Sicht fünf Eigenschaften charakteristisch, zumindest wiederkehrend:

1. Die Farben sind monochrom, d.h. pro Skulptur gibt es nur eine Farbe, die allerdings durch die Behandlung des Untergrunds mittels Schwarz eine Tiefe bekommt und durch das einfallende Licht changiert. Restauratoren von alter Kunst sprechen angesichts solcher reflektierenden Partien von 'gelüstert' und meinen damit einen metallisch irisierenden Effekt, wie er sich auf einer barocken Skulptur oder auf einem Bilderrahmen zeigt. Auch wenn das Material dieser Skulpturen extrem hart ist, so haben die Oberflächen doch etwas Weiches, stellenweise Samtiges. Gerne würde man sie berühren.

2. Willi Siber ist Bildhauer und Maler. Diesen doppelten Blick meine ich fast bei jeder Arbeit zu erkennen. Er organisiert Oberflächen und denkt zugleich in Bildkörpern und Volumen.

3. Willi Siber nimmt einem Vorhandenen nichts weg, sondern fügt hinzu. Fast jede Skulptur ist das Ergebnis von Addition. Siber schichtet, stapelt, erweitert.

4. In den meisten Werken trifft man auf etwas Spielerisches. Es hat den Anschein als ob die Dinge sich bewegen, vielleicht kippen. Manche Skulpturen muten einem akrobatisch an, als ob jongliert würde.

5. Viele Werke halten aus meiner Sicht eine Verbindung zur Natur. Ihren Resonanzraum finden sie in einem Park, in einer Streuobstwiese. In ihrem Innern regen sich Prozesse des Wachsens und des Absterbens, stecken Wurzeln und Stämme. Auf ihren Oberflächen findet sich die Anmutung vom Saft der Beeren, von öligem Honig und vom Licht eines Himmels, der sich in einem Wasser, vielleicht einem Teich spiegelt.

 Die hier gezeigten Werke entstanden in den vergangenen Jahren, einige in den letzten Tagen. Aber sind sie deshalb auch als zeitgenössisch anzusehen? Ich möchte zwei Gründe anführen, warum ich das bejahe. Der erste: Fast alle Materialien, die Willi Siber verwendet, sind high-tech Werkstoffe. Sie sind das Ergebnis moderner technischer und chemischer Verfahren. Sie tragen in sich die Forschung der Automobilindustrie und des Modellbaus. Solche hochwertigen Chromlacke standen Künstlern vor einer Generation noch nicht zur Verfügung. Ebenso die Werkstoffe Epoxydharz, der im Bootsbau zum Einsatz kommt, oder die Bildträger Kunststoff, Aluminium und Mulitplex-Leisten, wie sie beim Möbelbau üblich sind. Industrielle Verarbeitungsweisen bestimmen die Bildwirkung. Die Farben entnimmt der Künstler keiner handelsüblichen Palette, sondern schafft Unikatfarben, die am Computer für ihn gemischt werden.

 Ein zweiter Grund: Die Kunst von Willi Siber steht mit dem einen Bein im Atelier, mit dem anderen verlässt sie diesen Arbeitsort. Die großen Holzkörper sind reine Handarbeit, diese Halbschalen hingegen werden von einer Firma geliefert, die Globusse baut. Die Exaktheit der Herstellung bestimmt ihre Anmutung. So etwas schafft man nicht von Hand, dafür braucht es moderne Technik. Viele dieser Werke haben keine Scheu die Andersartigkeit von Kunst aufzugeben und sich einem Kontext anzunähern, den wir als Design bezeichnen. Über viele Jahre sah man moderne Kunst als eine Art Gegenwelt, "Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere" lautet ein viel zitierter Ausspruch des amerikanischen Malers Ad Reinhard. Kunst sollte sich von keinen außerkünstlerischen Zwecken leiten lassen, sie soll sich von allem Schmückenden fernhalten, so das Credo der 60er bis 80er Jahre. Die Farben und Oberflächen von Willi Siber hingegen scheuen die Nähe zur Welt des Glanzes nicht. Sie kommen durch die Reflexion des Lichts erst richtig zur Wirkung. Sie zeigen eine Eleganz wie ein Schmuckstück und machen, wie man in Italien sagen würde, eine 'bella figura'. Die Kunsthistorikerin Sabine Heilig nannte sie die Kunst eines Feinschmeckers und gutes Essen, das sind wir uns einig, muss auf jeden Fall "ganz schön präzise" sein.